Shu's Japan Welt

Hikikomori

Seit einigen Jahren greift in der japanischen Gesellschaft ein neues Phänomen um sich. Junge, meist männliche Japaner schliessen sich in ihren Zimmern ein und kapseln sich komplett von der Aussenwelt ab. Die Japaner nennen diese Jugendlichen Hikikomori, was „sich wegschliessen“ oder „Rückzug aus der Gesellschaft“ bedeutet.

Das Hikikomori-Phänomen ist schon lange bekannt. Laut offiziellen Statistiken gibt es rund eine halbe Million Betroffene Hikikomori, von denen sind 80% männlich und unter 20 Jahren. Experten rechnen aber mit einer weitaus höheren Dunkelziffer.

Das „Wegschliessen“ beginnt oft schleichend. Die Betroffenen fühlen sich in der Gesellschaft oft nicht wohl und missverstanden. Sie gehen daraufhin immer seltener vor die Tür, suchen Ausreden um Termine und Verabredungen nicht einhalten zu müssen. Die sozialen Kontakte werden weniger, bis sie schliesslich keinen Grund mehr haben raus zu gehen und komplett zu Hause bleiben. Ihren Tag verbringen sie meistens mit Videogames, Fernsehen oder surfen im Internet. Viele schlafen auch den ganzen Tag und sind dann die ganze Nacht aktiv. Einer Arbeit gehen sie logischerweise nicht nach.

Da die meisten Hikikomori minderjährig sind und noch in ihrem Elternhaus wohnen, übernehmen die Eltern die Aufgabe, ihre Sprösslinge mit notwendigen Dingen wie Essen zu versorgen. Aus Scham über das Verhalten des Nachwuchses und das eigenen Versagen, suchen nur wenige Eltern Hilfe und versuchen das Problem intern zu lösen. Mit mässigem Erfolg.
Viele Hikikomori verlassen ihre Zimmer oft nach Jahren lang nicht. Erst wenn ihre Verwandten sterben oder durch Krankheit nichtmehr in der Lage sind, sie mit dem Nötigsten zu versorgen, sind sie gezwungen ihren Rückzugsort zu verlassen.

Die Ursache für das Hikikomori-Phänomen sehen Experten in der japanischen Gesellschaft selbst. Japan ist eine Leistungsgesellschaft mit hohem gesellschaftlichem Druck, deren Einfluss schon sehr früh beginnt.
Schon in der Grundschule sind die Kinder einem Hohen Leistungsdruck ausgesetzt. Sowohl von schulischer Seite, als auch von den Eltern selbst. Japanische Eltern haben oft eine konkrete Vorstellung davon, wie das Leben ihrer Kinder später aussehen soll. Erfolg und Wohlstand ist die Devise. Das Kind soll mit seinem Erfolg das Ansehen der Eltern steigern. Das bedingt entsprechende Leistungen in der Schule, Sport sogar in der Freizeit. Viele Schüler besuchen nach dem regulären Unterricht eine Nachhilfeschule und sogar in den Ferien besuchen sie Unterrichtsstunden um weiter zu lernen. Denn nur, wer gute Noten hat, schafft es nach der Schule auf eine gute Universität oder Hochschule. Und hier wird der Druck nicht weniger. Der Druck, immer die beste Leistung zu erbringen und Bestnoten zu erzielen, ist Enorm. Die Jugendlichen wollen die Erwartungen Ihrer Eltern erfüllen, die schliesslich hart arbeiten um ihre Ausbildung finanzieren zu können.
Mit dem Eintritt in die Arbeitswelt wird der Druck dann noch schlimmer. Arbeitstage von 10 Stunden und mehr sind die Regel, zusätzliche Überstunden sind selbstverständlich. Darüber hinaus gelten ein strenger Dresscode und rigorose Benimmregeln. Für persönliche Bedürfnisse ist da kein Platz.

Labile Menschen sind mit den herrschenden Aussichten oft schon in jungen Jahren überfordert. Sie befürchten, die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen zu können, dass sie die Menschen in ihrer Umgebung enttäuschen könnten. Aus diesen Gründen ziehen sie sich immer mehr zurück in eine Welt, die sie sich selbst erschaffen.
Im Laufe der Zeit gab es immer mehr Programme, die versuchen Hikikomori aus ihrem Rückzugsort heraus zu holen und wieder an ein Leben in der Gesellschaft zu gewöhnen. Aber eine Dauerhafte Lösung kann es nur geben, wenn die Gesellschaft anfängt ihre Prioritäten zu überdenken und neu zu bewerten.

• erstellt am 21.04.2019 um 23:52 Uhr
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